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09.02.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 586

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

heute erwartet Sie Klaviermusik von Frédéric Chopin: Die vier Scherzi. Sie gehören zu den bedeutendsten und gleichzeitig virtuosesten Klavierwerken des Komponisten. Entstanden zwischen 1830 und 1843 zeichnen sie sich durch hohes Tempo sowie durch große technische Herausforderungen aus, die nur wenige Pianisten meistern.

Das Scherzo, ursprünglich ein musikalischer Scherz, ersetzte im späten 18. Jahrhundert oft das Menuett der Sinfonie. In Beethovens Sinfonien verlor es seinen tänzerischen Charakter und wurde zu einer neuen Gattung, oft mit unheimlichen und dämonischen Elementen. Auch durch Chopins vier Scherzi ziehen sich wilde, teils dämonische Wesenszüge. Auch die ausgedehnten Codas am Ende der im Großen und Ganzen dreiteilig angelegten Scherzi Chopins weisen auf Beethoven hin.

Die Weihnachtstage des Jahres 1830 verbringt Chopin erstmals fern der Heimat in Wien. Während der revolutionäre Aufstand in Polen auf einen blutigen Höhepunkt zusteuert, lässt er eine andere Armee antreten: „wenn ich könnte, würde ich alle Töne in Bewegung setzen, die mir vom blinden, wütenden, entfesselten Gefühl eingegeben werden“ . In diesen Tagen beginnt er die Arbeit am Scherzo Nr. 1 h-Moll op. 20. Kompromisslos bricht der Zwanzigjährige mit allen Konventionen des gefälligen Style brillant, in dem er bis dahin geschrieben hat. Die Virtuosität dient jetzt nur noch dem Ausdruck, und der ist geprägt von Schmerz, Zorn und Düsternis. In bizarren Zickzacklinien jagen sich die Achtelfiguren, zerklüftet von unregelmäßigen Pausen. Über weite Strecken wird die wörtliche Bedeutung des Namens Scherzo geradezu auf den Kopf gestellt. Den maximalen Kontrast bringt der gesangliche Mittelteil, in dem ein bekanntes polnisches Weihnachtslied zitiert wird. Doch von Humor und launigen Einfällen, wie sie der Titel verspricht, ist auch hier keine Spur. Chopin stellte sein erstes Scherzo 1832 fertig. Es ist seinem lebenslangen Freund Tomas Albrecht gewidmet, der ein Weinhändler und sächsischer Konsul in Paris war.

Das Scherzo Nr. 2 b-Moll op. 31 stammt aus dem Jahre 1837 und beginnt mit einer fragenden Achteltriole im pianissimo. Chopin erklärte, sie müsse an ein Totenhaus erinnern. Darauf antwortet ein dissonanter fortissimo-Akkord. Auf diesen rätselhaften Beginn folgt eine Fülle kontrastierender Gedanken mit plötzlichen Wechseln zwischen düsterer Dramatik und euphorischen Energieschüben. Sie machen das zweite Scherzo zu einem von Chopins originellsten und farbigsten Werken.

Zwei Jahre später entstand auf Mallorca das Scherzo Nr. 3 cis-Moll op. 39. Es ist Chopins Lieblingsschüler Adolf Gutmann gewidmet, einer der wenigen Schüler Chopins, der mit professionellen Absichten studierte. Die schroffe Unisono-Einleitung reiht in kurzer Folge alle zwölf Halbtöne auf. Tonal sind diese ersten fünf Takte schwer zu deuten - ein frappierender Einfall, der Chopins radikale Modernität ins Licht rückt. Die weitere Entwicklung wird getragen vom Gegensatz zwischen einem bewegten Oktaven-Thema und einem hymnischen Choral.

Chopin komponierte sein Scherzo Nr. 4 E-Dur op. 54, der Schülerin Gräfin Jeanne de Caraman gewidmet, im Jahre 1842. Es ist in die zauberhaften Klänge zarter Feen gehüllt, die für die Scherzi seines Freundes Mendelssohn so typisch sind. Chopins letztes Scherzo ist das einzige Werk der Gruppe, das fast durchgängig von helleren Stimmungen geprägt ist. Die vielen Wiederholungen und die drastischen Kontraste der früheren Scherzi sind einer subtilen Verwandlungskunst gewichen. Der „kühnste und stolzeste Dichtergeist der Zeit“ hat zu vergeistigter Heiterkeit und einer fast lässigen Eleganz gefunden.  

Unser heutiger Mitschnitt kommt aus Italien, Lang Lang spielte vor einigen Jahren alle vier Scherzi - und als Zugabe noch Chopins Grand Valse brillante op. 18:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd