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02.08.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 511

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

ob sie Rusalka, Melusine oder die kleine Meerjungfrau hießen - die bereits aus Volksmärchen bekannten weiblichen Wasserwesen verzauberten die Romantik. So auch den Komponisten Carl Reinecke, der - basierend auf Friedrich de la Motte Fouqués gleichnamigem Kunstmärchen - 1882 seine Sonate "Undine" für Flöte und Klavier e-Moll op. 167 schuf. Vom sehnsüchtigen Wunsch nach einer menschlichen Seele über die erste Begegnung bis hin zum tragischen Abschied zeichnet Reinecke die unglückliche Liebe der Nixe Undine zum Ritter Huldbrand musikalisch nach - und nutzt dabei das gesamte romantische Ausdrucksspektrum.

Als wichtigster Vertreter der Leipziger Schule nach Schumann und Mendelssohn konnte Carl Reinecke für sich in Anspruch nehmen, Erbe der Romantiker zu sein. Man könnte ihn als “deutschen Saint-Saëns” bezeichnen, was das feine melodische Gespür und die harmonische Eleganz seiner Musik anbelangt. Der Flöte hat Reinecke ein Konzert und seine Sonate gewidmet. In seinem poetischen Gehalt verschafft es der Flöte eine romantische Rolle, die vollendet zu ihrem Ausdrucksspektrum passt. Die Ahnung von freier Natur, die im Klang der Flöte liegt, ihre schon vom Barock goutierte Aura eines Liebesinstruments und die weiche Zeichnung ihres Tons schaffen ein ideales Medium für die Geschichte von der unglücklichen Liebe Undines.

Der erste Satz, ein Allegro in romantisch ausgedehnter Sonatenform von über 250 Takten, führt uns die Titelheldin vor Augen. In der günstigsten Flötentonart e-Moll und ihrer Variante E-Dur wird Undine in leuchtenden Farben gemalt. Reinecke gebrauchte Motive, die schon Mendelssohn für eine Verwandte Undines, die schöne Melusine, in seiner gleichnamigen Konzertouvertüre verwendet hatte: ein Quint-Oktav-Thema im Sechsertakt als Symbol der Nixe, Sechzehntelwellen als Metapher für ihr Element, das Wasser. Melodisch besonders reizvoll ist das h-Moll Seitenthema der Flöte über der Wellenbewegung des Klaviers, ein Symbol für Undines Sehnsucht. Die Durchführung lässt die dramatischen Wendungen der Geschichte schon erahnen.

An zweiter Stelle folgt ein Intermezzo in h-Moll, eine flirrende Studie in gebrochenen Staccato-Akkorden, die Flöte und Klavier einander zuspielen. In der Mitte des Hauptteils tritt der Ritter auf: eine stolze G-Dur-Gestalt in punktierten Rhythmen des Klaviers. Im Trio kommt es dann zur ersten Begegnung zwischen den Liebenden. Geheimnisvoll (Misterioso) tritt Undine aus dem Schilf, eine H-Dur-Melodie der Flöte, die ohne jegliche Bebung im Ton zu spielen ist. Ihre überirdische Schönheit zieht den Ritter in ihren Bann.

Der dritte Satz, ein schumanneskes G-Dur-Andante von großer Zartheit, schildert die innige Zuneigung des Paares. Die Stimmen von Flöte und Klavier laufen durchweg parallel, wie in einem Liebesduett. Nur im Molto vivace-Mittelteil kommt es zur Trennung der Instrumente, zu kurz aufflackerndem Streit. Dessen Konsequenzen hören wir im Finale: Undines Abschied, der zum tragischen Grundton e-Moll zurückkehrt. Mit einer unendlich sehnsüchtigen Melodie voller chromatischer Nebennoten (h-und c-Moll klingen an) nimmt die Nixe Abschied von den Menschen. Reinecke schrieb hier der Flöte eines ihrer schönsten Themen auf den Leib. Die Klavierbegleitung aus gebrochenen Akkorden signalisiert die Rückkehr der Heldin in ihr Element. Doch Reinecke wäre nicht ein Romantiker, wenn die Sonate nicht mit einer Reminiszenz an die vergangene Liebe schlösse. Più lento und im sanft schimmernden E-Dur klingt das Thema der Undine-Erscheinung aus dem zweiten Satz noch einmal an, bevor die Sonate mit verdämmernden Dur-Akkorden schließt.

Unsere heutigen Interpreten sind James Galway und Phillip Moll, aufgenommen während eines Recitals in der Waterfront Hall in Belfast:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd