Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
drei Klavierkonzerte hat Béla Bartók komponiert - mein persönlicher Favorit ist das Klavierkonzert Nr. 2 G-Dur Sz 95, das ich Ihnen heute gerne vorstelle.
Mit diesem Klavierkonzert, dem brillantesten und aggressivsten unter den dreien, verabschiedete sich Béla Bartók von Deutschland. Am 23. Januar 1933 spielte er unter Hans Rosbauds Leitung die Uraufführung im Funkhaus Frankfurt/Main mit dem heutigen hr-Sinfonieorchester. Eine Woche später berief Reichspräsident von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Bartók trat danach nicht mehr in Deutschland auf. Zwischen Oktober 1930 und Oktober 1931 hatte er das dreisätzige Werk komponiert. Die relativ lange Entstehungszeit war seinen beruflichen Belastungen geschuldet. Er unterrichtete als Klavierprofessor an der Budapester Musikakademie, konzertierte viel - als Pianist wurde er häufiger angefragt als mit seinen Werken. Die Zeit zum Komponieren war knapp bemessen, aber er nutzte sie konzentriert: Obwohl er die Arbeit daran immer wieder unterbrechen musste, wirkt das zweite Klavierkonzert wie aus einem Guss, gerade durch seine starken inneren Gegensätze.
Es sprüht vom Geist der ausgehenden Zwanziger Jahre und schlägt den Ton der Neuen Sachlichkeit an: geometrisch klar in den Formen, hart und scharf in den Klängen, energisch und herausfordernd in den Rhythmen; alles provoziert irgendwo und irgendwann seinen Gegensatz. Die Virtuosität des Klaviers zielt auf Brillanz und perkussive Wirkung, kaum dagegen auf Sanglichkeit: Romantik der innerlichen Sorte war einmal.
Wo sich das Klavier, wie in den Rahmenteilen des mittleren Satzes, melodisch gibt, geschieht dies deklamierend oder mit reichlich Verzierungen, also nicht mit dem beseelt gefühlvollen Ton, welcher der Natur des Klaviers abgerungen werden muss. Die Auseinandersetzung mit volkstümlichen Liedern und Tänzen, die Bartók in
25-jähriger Recherche sammelte und auswertete, ist als Erfahrung präsent; sie ist in seine Tonsprache eingegangen, direkte Zitate und Anleihen sind im zweiten Klavierkonzert nicht festzustellen. Es ist eine Kreuzung aus Virtuosenkonzert im Sinne des frühen Liszt und einem beinahe barock-klaren Aufbau wie bei einem Concerto grosso. Blieb in Liszts Klavierkonzerten das Orchester quasi außen vor, ist es hier - vor allem in Form der Bläser - minutiös eingeplant. Dabei besticht dieses Klavierkonzert durch seinen Abwechslungsreichtum, eine Heterogenität im besten Sinne.
Die Ecksätze werden von einer Fanfare wie von einem Startschuss in Gang gesetzt. Sie flankieren einen mittleren, in dem die heftigsten Kontraste aufeinandertreffen. In ein langsames Stück, das von gedämpften Streichern und ihrem Dialog mit dem Klavier seinen Ausgang nimmt, schob Bartók ein quicklebendiges Scherzo ein. Während die langsamen Teile wie ein modernisierter Choral aus der Ferne wirken, verlässt das Scherzo in der Mitte die reine Kunstform der Musik: Einwürfe der Bläser klingen wie Vogelrufe und -triller, die schnellen Arabesken des Klaviers schaffen den atmosphärischen Hintergrund. Bartók öffnet die Übergänge zum Naturlaut, die Ästhetik der Neuen Sachlichkeit wird zugunsten eines Ausflugs zum Impressionismus verlassen.
Bartóks zweites Klavierkonzert gilt als eines der schwierigsten Werke der Klavierliteratur und ist rhythmisch so raffiniert akzentuiert, dass es sich auch Hörern anderer Musikrichtungen erschließt. Bartók hatte schon bei seinem ersten Klavierkonzert erkennen müssen, dass es „ein wenig schwierig - man könnte sogar sagen, sehr schwierig! - sowohl für das Orchester als auch für das Publikum“ war. Diesem Problem versuchte er im zweiten Klavierkonzert zu begegnen; wie er im Programmheft der Uraufführung schreibt, ist das zweite Klavierkonzert „mit geringeren Schwierigkeiten für das Orchester und einer größeren Gefälligkeit in seinem thematischen Material“ konzipiert. Da Bartók einen Großteil seiner Klaviermusik für den Eigengebrauch als Solist in Europa und den Vereinigten Staaten schrieb, scheint es natürlich, dass er mit seinem Werk ein breiteres Publikum erreichen wollte.
Drei Konzertmitschnitte empfehle ich Ihnen heute, zunächst Vladimir Ashkenazy mit dem New Zealand Symphony Orchestra unter der Leitung von John Hopkins, aufgezeichnet am 22. November 1982 in der Auckland Town Hall:
Zum Vergleich: Yuja Wang mit dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Antonio Pappano, aufgezeichnet 2013 im Auditorium Parco della Musica in Rom:
Und zum Schluss: Noch einmal Yuja Wang mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Sir Simon Rattle, aufgezeichnet am 13. November 2017 in Wuhan (China):
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler