Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
Zeiten ändern sich: Von 2010 bis 2013 erklang regelmäßig am Reformationstag größere Kirchenmusik im Kaiserdom mit Solisten, Orchester und der Propsteikantorei Königslutter - egal, ob es eine Messe von Mozart oder Schubert oder eine Bach-Kantate war. Für den Reformationstag 2022 ist das immerhin noch digital möglich: In der heutigen Ausgabe stelle ich Ihnen gerne die Kantate "Ein feste Burg ist unser Gott" BWV 80 von Johann Sebastian Bach vor.
Bachs Kantate vertont Luthers kämpferisches Lied von 1529, das erst nach dem Tod des Reformators zur Hymne des Protestantismus wurde; Heinrich Heine bezeichnete sie sogar als "Marseiller Hymne der Reformation". Die Kantate geht auf eine 1715 zum dritten Sonntag der Passionszeit (Oculi - Sehet) entstandene Weimarer Komposition zurück, die mit dem Basssolo "Alles, was von Gott geboren" begann, dem der Choral "Ein feste Burg" als kommentierende Ebene beigegeben ist. Diese latente Choralbindung nahm Bach in Leipzig zum Anlass, die Kantate zum Reformationstag umzuwidmen und sie zunächst mit einem würdevollen Choralsatz einzuleiten, bevor er diesen in den 1730er Jahren durch eine ausgedehnte Liedmotette ersetzte. Sein Sohn Wilhelm Friedemann wiederum zog die Tuttisätze 1 und 5 für seine Hallenser Kirchenmusik heran, unterlegte ihnen lateinische Texte und fügte einen Trompeten-Pauken-Chor hinzu, der noch heute zuweilen mit der väterlichen Fassung kombiniert wird.
Trotz aller Meisterschaft ist der Kantate eine gewisse Spannung zwischen den beiden Werkschichten Reformation und Oculi eigen. Während das 19. Jahrhundert mit seinem heroisierten Bachbild eine auf die massigen Chorsätze zugespitzte Darbietung bevorzugte, vermag man heute auch die intimen Weimarer Solosätze zu schätzen.
Sehr gerne empfehle ich Ihnen heute wieder einmal einen Mitschnitt aus der Schweiz: Am 19. August 2016 wurde Bachs Kantate in der reformierten Kirche Trogen aufgeführt. Es singen und musizieren Dorothee Mields, Terry Wey, Bernhard Berchtold, Klaus Mertens sowie Chor und Orchester der J. S. Bachstiftung St. Gallen unter der Leitung von Rudolf Lutz:
Wer noch mehr über die Kantate erfahren möchte, dem sei der Workshop mit Rudolf Lutz, Karl Graf und Anselm Hartinger empfohlen:
Ab kommenden Dienstag erwartet Sie in den kommenden vier Wochen wieder die Musikfilm-Reihe "Faszination Klassik@Home" in Ihrem Posteingang, Folge 399 dieser Reihe erscheint dann am Freitag.
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler