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Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute ändere ich spontan das Konzept dieser Reihe und widme diese Ausgabe einer jungen Kollegin, die vor zwei Wochen mit einem Orgelkonzert im Kölner Dom überregional für Schlagzeilen sorgte - lesen Sie selbst eine Zusammenfassung aus dem Portal Domradio.de:
Das hat selbst der Kölner Dom so noch nicht erlebt: Der Andrang beim Konzert von Star-Organistin Anna Lapwood am 15. Juli war so groß, dass sie gleich zweimal hintereinander ihr Konzert spielen musste. Am Tag danach ist klar: trotz des spontanen zweiten Konzertes schafften es wohl viele Fans von Anna Lapwood nicht mehr in den Dom. Mehr als 12.000 Menschen sollen eigens nach Köln gekommen sein, teilte der Kölner Dom am Mittwoch mit. Da pro Konzert nur etwa 3.800 Menschen in die Kathedrale hineingelassen werden konnten, blieb doch tausenden der Zutritt verwehrt, was die Verantwortlichen des Domes in der Mitteilung im Nachhinein sehr bedauerten.
Am Konzertabend standen schon zwei Stunden vor Einlass Tausende an, die Menschenschlange reichte bis zum etwa einen Kilometer entfernten Neumarkt, zeitweise kam der Verkehr in der Kölner Innenstadt völlig zum Erliegen. Spontan hatte die 29-jährige Britin rund eine Stunde vor Konzertbeginn bekanntgegeben, dass sie zwei Konzerte spielen würde, damit mehr Menschen eine Chance hatten, ihr Programm mit Filmmusik von Hans Zimmer, John Williams und Ludovico Einaudi zu hören. Tagelang hatte Anna Lapwood zuvor im Dom geübt, um die Filmmusik auf der großen Domorgel perfekt musikalisch darstellen zu können, ihre Videos davon stießen auf große Begeisterung bei ihren Fans bei TikTok und Instagram. Mehr als eine Million Follower hat sie dort.
Zu Beginn des Konzertes schlug ihr diese Begeisterung direkt entgegen, die Stimmung war gelöst, fast euphorisch, als die Britin die Besucherinnen und Besucher im Dom begrüßte. Viele standen, einige saßen auf den Boden. Zuvor setzte Domkapitular Markus Bosbach bei der Begrüßung eine Pointe als er sagte, dass sie gedacht hätten, dass sie im Kölner Dom eigentlich nichts mehr überraschen könnte, aber diese Menschenmasse war selbst für den konzerterfahrenen Dom etwas Neues. Teilweise kamen die Menschen sogar aus Belgien und den Niederlanden, um die Star-Organistin im besonderen Raum des Kölner Domes zu hören.
Stunden zuvor war sie im Domradio gewesen und hatte voller Begeisterung vom Kölner Dom und der Domorgel erzählt. Im Interview war zu spüren, dass sie eine ernsthafte, professionell ausgebildete Musikerin ist, die sich gewissenhaft auf ihre Konzerte vorbereitet. Filmmusik auf der Orgel sieht sie vor allem als Chance, auch die Menschen für Orgelmusik zu begeistern, die sonst nichts mit dem Instrument zu tun haben oder denen Sakralräume ansonsten fremd bleiben würden. "Es gibt Menschen, die nicht religiös sind und deswegen in keine sakralen Räume gehen. Aber Filmmusik ist für sie vertraut, und so können sie doch den Kirchenraum auf ihre Art durch diese Musik erfahren." Sie würde niemals etwas Blasphemisches auf der Orgel in einer Kirche spielen, betonte sie im Gespräch. Stattdessen will sie mit ihrer Musik ihren Orgel-Enthusiasmus mit ihren Fans teilen.
Und die sind im Kölner Dom später völlig begeistert. Tatsächlich bringt Anna Lapwood die Domorgel mit rund 150 Registern fantastisch zum Klingen. Egal ob fast brüllend laut bei "Duel oft the Fates" aus "Star Wars", komponiert von John Williams, oder auch eher ruhig-bedächtig bei "Experience" von Ludovico Einaudi. Die Menschen hören teilweise mit geschlossenen Augen zu, einige liegen sogar auf dem Boden, lassen Klang und den gotischen Raum des Kölner Domes auf sich wirken.
Zwischen den Kompositionen spricht Anna Lapwood von der Orgelbühne via Mikrofon zu den Menschen, teilt mit ihnen ihre Begeisterung für die Domorgel und erklärt, warum sie die Filmmusik so faszinierend findet, zeigt ihre Freude und Überraschung, dass so viele zu ihrem Konzert gekommen sind. Spontan spielt sie noch ein Ständchen für Janine im Publikum, die Geburtstag hat.
Da sie später noch das zweite Konzert im Dom spielen wird, kürzt sie das Programm etwas ein, spielt ausschließlich Werke der Filmmusik. Natürlich darf von Hans Zimmer die Suite aus "Pirates of the Caribbean" nicht fehlen. Wieder überrascht Anna Lapwood, wie perfekt sie die "Fluch der Karibik"-Filmmusik auf der Domorgel erklingen lässt. Trotzdem bleibt die Atmosphäre für ein Gotteshaus angemessen, man spürt, wie die Menschen den Klang und die einmalige Architektur auf sich wirken lassen und den Moment im Dom genießen. "Atemberaubend, genial, super, eine einmaligere Location für ein Orgelkonzert gibt es nicht" – die Antworten der Besucher im Anschluss an das erste Konzert fallen euphorisch aus.
Natürlich gibt es rund um den Ansturm auch kritische Stimmen, schließlich bricht zeitweise der Verkehr rund um den Dom zusammen, machen sich User in den sozialen Netzwerken ihrem Unmut Luft, da sich tatsächlich vor dem Dom einige vordrängen und die Verantwortlichen den Ansturm der Fans für ein kostenloses Konzert in einem so berühmten Gebäude wie dem Kölner Dom ohne Frage unterschätzt haben. Und doch gibt es viele, die das lange Anstehen gerne für die einmalige Zeit in der gotischen Kathedrale in Kauf genommen haben. Oder wie es ein User auf "Threads" ausdrückt: "Drei Stunden in Kölns längster Schlange gewartet, um Anna Lapwood zu hören. Das war es wert, es war unglaublich!"
Zu Anna Lapwood: Die 1995 in High Wycombe bei London geborene Organistin ist eine der vielversprechendsten Künstlerinnen ihrer Generation. Angesichts ihres Erfolgs in den sozialen Medien - ihre Videos auf TikTok wurden millionenfach aufgerufen, im Sommer 2025 folgten Lapwood auf Instagram 1,1 Millionen Menschen – wird die Britin auch als „Taylor Swift der Orgel“ bezeichnet. Als Jugendliche studierte sie Klavier, Geige, Bratsche und Komposition an der Royal Academy of Music und war Solo-Harfenistin im National Youth Orchestra of Great Britain. Mit 15 Jahren saß sie erstmals an der „Königin der Instrumente“, später erhielt sie als erste Frau in der 560-jährigen Geschichte des Oxforder Magdalen College ein Orgelstipendium.
Zwischen 2016 und 2025 war Lapwood als jüngste Künstlerin überhaupt Musikdirektorin des Pembroke College in Cambridge. Seit Mai 2025 ist sie offiziell Organistin der Londoner Royal Albert Hall, außerdem arbeitet sie als Moderatorin für die BBC. Zu ihren Markenzeichen zählt die Verbindung von klassischem Repertoire mit zeitgenössischer Musik, Filmmusik und eigenen Transkriptionen. Sie tritt regelmäßig mit Orchestern wie dem London Symphony Orchestra, dem Philharmonia Orchestra und den Göteborger Symphonikern auf. In der Saison 2025/2026 folgt sie als Palastorganistin der Dresdner Philharmonie auf Olivier Latry.
Zahlreiche Videos sind bei youtube zu finden - ich habe mich für zwei Stücke entschieden, die 2023 in der Reihe "Elbphilharmonie Session" aufgezeichnet wurden, zunächst ein eigenes Arrangement von Ludovico Einaudis Minimal-Hit "Experience" aus einem der berühmten Filmmusik-Soundtracks des italienischen Komponisten:
Maurice Duruflé gehört zu den großen Organist:innen des vergangenen Jahrhunderts. Er spielte an der Seite von Louis Vierne in der Pariser Kathedrale Notre-Dame und tourte als erfolgreicher Konzert-Organist durch Europa und Nordamerika. Seine wenigen veröffentlichten Kompositionen gehören heute fest ins Konzertrepertoire - insbesondere sein "Prélude et Fugue sur le nom d’Alain" (1942). Die klanggewaltige wie technisch anspruchsvolle Komposition ist ein Nachruf auf Jehan Alain, der wie Duruflé Orgel-Schüler am Pariser Konservatorium gewesen war und 1940 im Krieg ums Leben kam:
Und zum Schluss noch ein Zusammenschnitt aus der Opus-Klassik-Gala vom 13. Oktober 2024 aus dem Berliner Konzerthaus. Preisträgerin Anna Lapwood musizierte mit dem Konzerthausorchester Berlin unter der Leitung von Kevin John Edusei Hans Zimmers "Cornfield Chase" aus dem Film "Interstellar" und das Finale aus der dritten Sinfonie ("Orgelsinfonie") von Camille Saint-Saëns:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler