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15.08.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 814

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

in der Oper dieser Woche prallen verschiedene Kulturen aufeinander: "Madama Butterfly" von Giacomo Puccini. Die herzzerreißende Geschichte sowie die atemberaubende, exotische Musik machen diese Puccini-Oper zu einem seiner populärsten Werke.

Es sollte ein Besuch mit weitreichenden Folgen werden: Im Juni 1900 weilte Giacomo Puccini anlässlich der englischen Erstaufführung seiner „Tosca“ in London. Von einem Freund wurde er dazu angeregt, in das Duke of York’s Theatre zu gehen, um sich David Belascos Tragödie „Madame Butterfly“ anzusehen. Zwar war Puccini des Englischen kaum mächtig, doch war er von dieser „Tragödie einer Japanerin“ zutiefst fasziniert und berührt. Der Stoff für ein neues Opernprojekt war gefunden.

Über Japan war im Westen im 19. Jahrhundert nur wenig bekannt. Nach der gewaltsamen Öffnung des Landes durch die US-Marine (1853/54) verfolgten die Japaner nach weiteren, tiefgreifenden Umbrüchen das Ziel, ihr Land nach westlichem Vorbild zu modernisieren. Auf der Pariser Weltausstellung 1867 sorgte Japan für einen regelrechten Hype. Auch die Künste in Europa gerieten im 19. Jahrhundert in diesen Sog einer neuen, exotisch anmutenden Ästhetik.

Zuvor musste die Idee aber noch mehrere Monate reifen, ehe sich Puccini mit diesem Stoff an seinen Verleger Ricordi wandte. Als Librettisten konnte er seine beiden Stammschreiber Giuseppe Giacosa und Luigi Illica verpflichten, die auch schon für „La Bohème“ und „Tosca“ die jeweiligen Texte verfasst hatten. Im September 1901 wurde schließlich die Genehmigung für die Vertonung des Belasco-Dramas erteilt.. Der japanische Schauplatz der Oper in Nagasaki befördert Giacomo Puccinis Klangspektrum in neue Dimensionen. Der Komponist setzt sich mit japanischer Musik auseinander, nimmt Einflüsse von Wagners "Tristan und Isolde" auf und liefert mit mehr oder weniger versteckten Zitaten aus anderen Stücken einen Subtext.

Weder Schaffenskrisen noch ein schwerer Autounfall (Puccini war eines der frühesten bekannten Opfer eines Autounfalls) hielten ihn von seiner Arbeit ab: Am 27. Dezember 1903 war die Oper fertig. Die Uraufführung fand am 17. Februar 1904 am Mailänder Teatro alla Scala statt - und wurde zum größten Misserfolg für den Italiener. Puccini zog die Partitur noch am selben Tag zurück und sagte die geplante Aufführung in Rom ab.

Ob sich dieses Debakel auf den nur wenige Wochen zuvor ausgebrochenen russisch-japanischen Krieg zurückführen lässt oder vielleicht sogar auf eine persönliche Intrige gegen den Komponisten, ist unklar. Puccini begann jedenfalls direkt nach der Uraufführung, die Oper zu überarbeiten. Die zweite Fassung, uraufgeführt am 28. Mai 1904 in Brescia, war ein absoluter Erfolg, der den anschließenden internationalen Siegeszug der Oper begründete, darunter auch die Aufführung an der Metropolitan Opera in New York im Jahr 1907 mit Geraldine Farrar und Enrico Caruso in den Hauptrollen. Sie machten das Stück schließlich zum Welterfolg. Weitere Überarbeitungen folgten - meist immer dann, wenn Puccini selbst bei den Aufführungsproben anwesend war.

Wie kaum ein anderes Werk behandelt „Madama Butterfly“ die Konflikte zwischen den beiden Kulturen. Puccini verstand es wie kein Zweiter, diese Konflikte musikalisch subtil zu gestalten und gleichzeitig Mitleid für die naive Titelheldin zu erregen. Erst den vielen Überarbeitungen ist es zu verdanken, dass sich das Werk auf die bedauernswerte Figur der Butterfly konzentriert, die der Oper ihre unfehlbare Wirkung verleiht.

Die Handlung in Kürze: Der amerikanische Marineoffizier Pinkerton hat sich Cho-Cho-San, eine junge Japanerin, zwecks Heirat vermitteln lassen - für die Zeit seiner Stationierung, später, zuhause soll es dann eine "richtige" Amerikanerin sein. Der Konsul warnt ihn. - Drei Jahre später, Pinkerton ist wieder in den Staaten, ein kleiner Junge spielt auf der Terrasse. Vergeblich sucht der Konsul, Butterfly darauf vorzubereiten, dass Pinkerton wiederkommt - mit seiner amerikanischen Frau Kate. Butterfly schmückt mit ihrer Dienerin Suzuki das Haus für den Empfang mit Blumen und Zweigen, dann stellt sie sich ans nächtliche Fenster, späht nach dem einlaufenden Kriegsschiff und wartet… Am nächsten Morgen wartet sie immer noch. Kate Pinkerton erscheint, sie möchte das Kind adoptieren. Butterfly stimmt zu, sie soll es in einer halben Stunde abholen. Cio-Cio-San begreift, dass sie nur benutzt wurde: „Ehrenvoll sterbe, wer nicht länger mehr leben kann in Ehren“. So lautet die Inschrift auf dem Dolch ihres Vaters... - am Ende begeht Cio-Cio-San Selbstmord. Die ausführliche Handlung finden Sie wieder am Ende dieser Ausgabe.

Man mag über ein kompositorisches Detail vielleicht überrascht sein, wenn die US-Nationalhymne mehr als einmal in "Madama Butterfly" zitiert wird. Zu Puccinis Zeit war das Lied jedoch als die Hymne der US Navy bekannt. Von der Marine bereits 1889 angenommen, wurde sie erst durch einen vom Präsidenten Herbert Hoover im März 1931 unterzeichneten Kongressakt zur offiziellen Nationalhymne. 

Meine heutige Empfehlung: Die aktuelle Inszenierung von Andrea Breth beim Festival Aix-en-Provence, aufgezeichnet am 15. Juli 2024 mit Ermonela Jaho (Cio-Cio-San), Adam Smith (Pinkerton), Mihoko Fujimura (Suzuki), Albane Carrère (Kate Pinkerton) und Lionel Lhote (Sharpless) in den Hauptpartien sowie Chor und Orchester der Opéra de Lyon unter der Leitung von Daniele Rustioni:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler


Handlung

Erster Akt
Nagasaki in den 1890er Jahren. Im Garten eines am Hügel gelegenen Anwesens mit Blick über den Hafen soll eine Hochzeit gefeiert werden: Es ist die Hochzeit des amerikanischen Marineoffiziers B. F. Pinkerton mit der 15-jährigen Geisha Cio-Cio-San, Tochter eines in Ungnade gefallenen Samurai. Pinkerton lässt sich vom Heiratsvermittler Goro die für ihn ungewohnte Bauweise des neuen Anwesens erklären. 
Da tritt auch der amerikanische Konsul in Nagasaki, Sharpless, hinzu. Er weist den jungen Amerikaner auf die kulturellen Unterschiede hin und ermahnt ihn, die nach japanischer Sitte als Ehe auf Zeit abzuschließende Verbindung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. 
Endlich trifft Cio-Cio-San mit ihrer Familie und begleitet von mehreren Geishas ein. Nach erfolgter Vermählung stürmt der Onkel von Cio-Cio-San, der Priester Bonzo, in den Garten und macht der Braut heftige Vorwürfe, da sie zum Christentum konvertiert ist. Pinkerton verweist die aufgebrachten Angehörigen des Hauses. 
Zurück bleiben die langjährige Vertraute Cio-Cio-Sans, Suzuki, Pinkerton und Cio-Cio-San. In der Abendstimmung schwören sich die beiden ihre Liebe.

Zweiter Akt
Drei Jahre sind vergangen, seit Pinkerton mit dem Versprechen in die amerikanische Heimat abgereist ist, zurückzukehren, wenn die Rotkehlchen nisten… und seither wartet Cio-Cio-San beharrlich. Den Einwurf Suzukis, sie habe noch nie davon gehört, dass ein ausländischer Ehemann zu seiner Frau nach Japan zurückgekehrt sei, lässt sie nicht gelten. 
Konsul Sharpless überbringt einen Brief von Pinkerton; er soll sie darauf vorbereiten, dass Pinkerton zwischenzeitlich in Amerika geheiratet hat. Aber Cio-Cio-Sans Überschwang hindert ihn daran. 
Goro stößt dazu und empfiehlt Cio-Cio-San, den wohlhabenden Yamadori zu heiraten, da nach japanischem Recht eine Ehescheidung in dem Moment, in dem ein Ehemann seine Frau verlassen hat, vollzogen sei. Cio-Cio-San lehnt den Heiratswunsch von Yamadori brüsk ab. Sie hält an ihrem Glauben der die unverbrüchliche Treue Pinkertons und das amerikanische Eherecht fest. 
Sharpless will Cio-Cio-San die Wahrheit sagen, da präsentiert ihm Cio-Cio-San ihren dreijährigen Sohn - und bittet ihn, Pinkerton von ihm zu berichten. 
Ein Kanonenschuss kündigt die Ankunft eines Schiffs an. Es ist die lang ersehnte M.S. Lincoln mit Pinkerton an Bord. 
Cio-Cio-San schmückt mit Suzuki in höchster Vorfreude das ganze Haus mit Blütenblättern. Im Brautkleid wartet sie gemeinsam mit Suzuki und ihrem Sohn auf die Rückkehr Pinkertons. Langsam bricht die Nacht an.

Dritter Akt
Cio-Cio-San hat die ganze Nacht vergeblich gewartet. Sie zieht sich mit ihrem Sohn zum Schlafen in ihr Zimmer zurück. 
Suzuki entdeckt Sharpless und Pinkerton mit seiner amerikanischen Ehefrau Kate vor dem Haus. Sharpless bittet Suzuki, dass sie Cio-Cio-San dazu überreden möge, das Kind der neuen Ehefrau Pinkertons anzuvertrauen. Suzuki berichtet Pinkerton, dass Cio-Cio-San drei Jahre lang auf ihn gewartet habe, woraufhin diesen sein schlechtes Gewissen überwältigt und er davon eilt. 
Cio-Cio-San tritt aus dem Schlafzimmer und erblickt Kate. Schlagartig erkennt sie die Situation. Auf den Wunsch Kates, ihr das Kind zu überlassen, antwortet sie, Pinkerton könne in einer halben Stunde ihren gemeinsamen Sohn abholen. Nach einem kurzen Gespräch mit Kate kommt sie deren Wunsch nach, ihr den Sohn zu überlassen. Sie bittet, eine halbe Stunde allein sein zu dürfen, und zieht sich in ihre Gemächer zurück, entschlossen, sich das Leben zu nehmen. Mit einem Dolch, den sie als Andenken an ihren Vater besitzt, setzt sie ihrem Leben ein Ende - das letzte, was sie noch vernimmt, ist die Stimme Pinkertons, der ihren Namen ruft.

Beitrag von sd