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23.08.2021 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 216

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

zu Recht zählt Antonin Dvoraks Cellokonzert zu den beliebtesten Werken dieser Gattung - für viele Musikliebhaber ist es das romantische Cellokonzert schlechthin.

Im Gegensatz zu den meisten anderen großen Komponisten der klassisch-romantischen Periode erkannte Antonin Dvorak die großartigen Möglichkeiten, die das Cello als Konzertinstrument besitzt. Das Cellokonzert entstand gegen Ende seines kompositorischen Schaffens, Dvorak war auf dem Höhepunkt seiner Meisterschaft. Sein Förderer Johannes Brahms sagte darüber kurz vor seinem Tod bedauernd, hätte er gewusst, dass man solche Musik für dieses Instrument schreiben könne, hätte er auch ein Cellokonzert geschrieben.

Das Werk, das weitgehend sinfonisch aufgefasst ist, ist die letzte Frucht von Dvoraks Aufenthalt in Amerika. Dvorak hatte seine geliebte böhmische Heimat im Jahre 1892 verlassen, um die Leitung des New Yorker Konservatoriums zu übernehmen. Angezogen hatte den Komponisten, der am Anfang seiner Karriere einige Hungerjahre durchleben musste, nicht zuletzt ein Gehaltsangebot aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das alle Maßstäbe des alten Kontinentes sprengte. Sein Honorar für acht Monate Tätigkeit pro Jahr in New York sollte nicht weniger als das 25-fache des Jahresgehaltes betragen, das er als Professor für Komposition am Prager Konservatorium erhielt. Nach vier Jahren in Amerika zog es Dvorak aber mit aller Macht zurück in die Heimat. Dvorak vermisste seine Freunde und seine Familie, allen voran seine Kinder, die in Böhmen zurückbleiben mussten. Vom Heimaturlaub im Jahre 1895 kehrte er vertragswidrig nicht nach Amerika zurück.

Dass Dvorak während der letzten Monate seines Aufenthaltes in Amerika in Gedanken bereits wieder zu Hause weilte, zeigt sich nicht zuletzt im Cellokonzert. Anders als in den sonstigen Werken, die in der New Yorker Zeit entstanden, verzichtet er hier nicht nur weitgehend auf amerikanische Elemente. Das Cellokonzert ist wieder ganz von böhmisch-romantischem Geist getränkt. Hinzu kommt eine rührende familiäre Anspielung, die Dvorak außerordentlich wichtig war. Während der Komposition erfuhr Dvorak, dass seine geliebte Schwägerin, Gräfin Josefine Kaunic, schwer erkrankt war. Dvorak erinnert im Adagio des Cellokonzertes auf dezente Weise an seine Schwägerin, in die er sich in den 1860-er Jahren verliebt hatte - die Liebe blieb jedoch unerwidert. Dvorak zitiert nun im Adagio aus Josefines Lieblingslied “Lass mich in Ruhe” op. 81.

Der bekannte tschechische Cellist Hanus Wihan, dem das Werk gewidmet ist, vermisste eine fulminante Kadenz und komponierte selbst eine für den Schluss des Werkes. Gegenüber seinem Verleger Simrock, der sie in der Erstausgabe drucken wollte, schrieb Dvorak am 3. Oktober 1895, er werde ihm das Werk nur überlassen, wenn er sich dafür verbürge, dass “niemand, auch nicht mein verehrter Freund Wihan, ohne mein Wissen und Erlaubnis Änderungen vornehmen werde - also auch keine Kadenz einfüge, die Wihan im letzten Satz gemacht hat. … Das Finale schließt allmählich diminuendo wie ein Hauch – mit Reminiszensen an den ersten und zweiten Satz, das Solo klingt bis zum pp aus – dann ein Anschwellen – und die letzten Takte übernimmt das Orchester und schließt in stürmischen Ton. Das war meine Idee und davon kann ich nicht ablassen“. Josefine Kaunic war inzwischen verstorben.

Drei Aufführungen möchte ich Ihnen heute sehr gerne empfehlen. Yo-Yo Ma spielte Dvoraks Cellokonzert h-Moll op. 104 am 7. September 2015 mit der Tschechischen Philharmonie unter der Leitung von Jiří Bělohlávek im Prager Rudolfinum - es war zugleich das Eröffnungskonzert des Prager Dvorák-Festivals:

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Ein Konzertbesuch, der bei mir Ende des letzten Jahres im Kalender stand, war leider nur digital möglich: Gautier Capucon musizierte das Werk am 18. Dezember 2020  in der Hamburger Elbphilharmonie mit dem NDR-Elbphilharmonieorchester unter der Leitung von Alan Gilbert. Im folgenden Link erklingt im Anschluss auch noch das zweite Werk des Abends, Gustav Mahlers 4. Sinfonie, Solistin ist Anna Prohaska:

www.youtube.com/watch

Und zuletzt noch eine Rarität aus den Archiven: Im September 1968 musizierte Jacqueline du Pre mit dem London Symphony Orchestra unter der Leitung von Daniel Barenboim. Das Konzert war den Bürgerinnen und Bürgern der Tschechoslowakei gewidmet, wenige Tage zuvor wurde der Prager Frühling durch sowjetische Truppen niedergeschlagen:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von red