Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute erwartet Sie das Stück, das als erstes großes Meisterwerk von Richard Wagner gilt: Seine Oper "Der Fliegende Holländer".
In Riga lernte Wagner durch Heinrich Heines „Memoiren des Herren von Schnabelowski“ die Sage vom „Fliegenden Holländer“ kennen und rühmte sie bereits damals schon aufgrund der Erlösungs-Idee als „echt dramatisch“. Seit 1837 war er in Riga als Musikdirektor am Theater angestellt, verlor diese Stelle jedoch zwei Jahre später und begab sich schließlich auf die Flucht vor seinen Gläubigern, die er mal wieder nicht bezahlen konnte. Während der mehrwöchigen Schiffsreise nach England erlebte Wagner eindringlich die Stimmung auf hoher See und lernte den einen oder anderen Matrosenbrauch und -gesang kennen. Das Schiff geriet schließlich am Skagerrak zwischen Dänemark und Norwegen in einen schweren Sturm - ein nachhaltig beeindruckendes Erlebnis, auf Grund dessen Wagner ab dem Jahr 1840 das Libretto und schließlich seine Komposition zum „Fliegenden Holländer“ verfasste: Nur alle sieben Jahre lang darf der Holländer, der auf seinem Geisterschiff durch die Meere irrt, an Land. Erlösen kann ihn nur die Liebe einer Frau. Wird Senta diese Frau sein? Sie will schließlich raus aus der engen Welt ihres Vaters. Der denkt nur an Geld. Kommt ihm da der reiche Holländer nicht gerade recht? Wagners packendes Frühwerk ist ein Psycho-Reißer der Opernliteratur, die ausführliche Handlung finden Sie am Ende dieser Ausgabe.
Wagners Oper, 1843 in Dresden uraufgeführt, ist nach dem vorangehenden "Rienzi", der stilistisch der Grand Opéra folgte, eine Hinwendung zur Tradition der deutschen romantischen Oper von Carl Maria von Weber oder Heinrich Marschner. "Der fliegende Holländer" markiert gleichzeitig den Beginn der neuen und ganz eigenen Handschrift Wagners mit der Entwicklung einer neuen Form des musikalischen Dramas. Erstmals im Zentrum steht Wagners Lebensthema der Erlösung durch Liebe im Tod. „Wagner hat über nichts so tief wie über die Erlösung nachgedacht: seine Oper ist die Oper der Erlösung. Irgendwer will bei ihm immer erlöst sein … dies ist sein Problem.“ So resümiert der Philosoph Friedrich Nietzsche - zunächst noch Bewunderer, schließlich Gegner des Komponisten - in seinem Buch „Der Fall Wagner“ polemisch, was für ihn Wagners Opernschaffen ausmacht. In der Tat: Die Erlösung spielt in Wagners Werken seit dem "Fliegenden Holländer" eine tragende Rolle.
Als musikalische Grundlage des „Holländers“ gilt noch immer die sogenannte Nummernoper, da Arien, Duette, Chornummern und Rezitative deutlich erkennbar sind. Allerdings ist „Der fliegende Holländer“ Wagners letzte Oper, die das traditionelle Format bedient: Mit der Komposition des „Lohengrin“ beschreitet er einige Jahre später erstmals eigene, gänzlich neue kompositorische Wege. Das durchkomponierte Musikdrama war geboren.
Die Ouvertüre zur Holländer-Oper nimmt in aller Kürze das gesamte Drama vorweg, wie Wagner selbst 1851 an einen Freund schrieb: „In diesem Stück legte ich unbewusst den thematischen Keim zu der ganzen Musik der Oper nieder: Es war das verdichtete Bild des ganzen Dramas, wie es vor meiner Seele stand.“ Die Ballade Sentas steht im musikalischen Mittelpunkt des Gesamtgeschehens, beinhaltet quasi alle Leitthemen und spiegelt den Charakter der Oper treffend wider - schroff, düster und dramatisch. Für damalige Zeiten revolutionär war, dass Wagner durch Sentas Ballade als Kernstück der Oper eine musikalische Einheit herstellt, die für die klassische Nummernoper so neu war und deutlich zu seinem durchkomponierten Musikdrama führt.
Unser heutiger Mitschnitt stammt von den Bayreuther Festspielen 2021, "Der fliegende Holländer" war am 25. Juli die Eröffnungspremiere. Dmtiri Tchernaikov deutet die Holländer-Sage als Trauma eines Kindes, das die Ausgrenzung seiner Mutter und ihren Selbstmord mitansehen muss, in das Dorf zurückkehrt und sich rächt, und zwar am Schluss durch das Abfeuern von Gewehrsalven und das Legen von Bränden. Senta ist ihm ein willkommenes Medium, und sie selbst sieht im Holländer eine Möglichkeit, gegen ihre Umgebung zu rebellieren. Weil Tcherniakov handwerklich genau gearbeitet hat, wirkt seine Umdeutung der Oper szenisch plausibel und interessant, und man vermisst keine Segelschiffe und Choristen in Matrosenkleidung.
Die Besetzung: John Lundgren (Der Holländer), Georg Zeppenfeld (Daland), Asmik Grigorian (Senta), Eric Cutler (Erik), Marina Prudenskaya (Mary), Attilio Glaser (Der Steuermann) sowie Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Oksana Lyniv:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler
Handlung
Erster Aufzug
Das Schiff des norwegischen Kaufmanns Daland ist kurz vor Erreichen des heimatlichen Hafens in einen heftigen Sturm geraten und wirft in der Bucht von Sandwike Anker. Daland beschließt, das Ende des Sturms hier abzuwarten und schickt die Mannschaft zur Ruhe. Nur der Steuermann soll Wache halten. Doch auch der schläft nach kurzer Zeit ein und bemerkt nicht das unheimliche Geschehen um ihn herum.
Ein zweites Schiff nähert sich. Der Kapitän geht an Land. Es ist der Fliegende Holländer, der sein Schicksal beklagt: Einst hatte er bei schwerem Sturm ein Kap umsegeln wollen und beim Satan geschworen, dass er bis in alle Ewigkeit nicht von diesem Unternehmen ablassen würde. Der Teufel nahm ihn beim Wort und verdammte ihn zu ewigem Herumirren auf dem Meer. Nur durch die Fürsprache eines Engels besteht noch eine letzte Hoffnung auf Erlösung von seinem schrecklichen Los: Alle sieben Jahre darf der Holländer an Land gehen. Wenn es ihm dort gelingt, eine Frau zu finden, die ihm bedingungslos die Treue hält, ist der Fluch gebrochen, und er kann sterben.
Daland entdeckt das fremde Schiff und dessen Kapitän. Der Holländer bittet, für kurze Zeit bei Daland zu Gast sein zu dürfen. Angesichts der Schätze, die der unheimliche Mann ihm als Lohn bietet, willigt der Kaufmann freudig ein. Er ist auch gern bereit, dem Holländer seine Tochter zur Frau zu geben, um die dieser ihn ganz unvermittelt bittet.
Inzwischen hat sich der Sturm gelegt, und der Wind ist umgeschlagen. Rasch werden die Segel gesetzt, und Daland segelt davon. Der Holländer folgt ihm.
Zweiter Aufzug
Anders als die Mädchen ihrer Umgebung ist Senta, Dalands Tochter, in Gedanken immer bei dem Fliegenden Holländer, dessen Bild sie stets bei sich trägt. Die Mädchen machen sich darüber lustig. Ihrer albernen Sticheleien überdrüssig, trägt Senta ihnen die Ballade vom Fliegenden Holländer vor und identifiziert sich schließlich selbst mit der Frau, die dazu bestimmt ist, den verdammten Seemann durch ihre Treue zu erlösen.
In diesem Moment kommt Erik, der Senta schon lange liebt. Er bringt die Nachricht, dass ihr Vater zurückgekehrt ist. Eilig machen sich die Mädchen auf den Weg, um die Seeleute zu begrüßen.
Erik drängt Senta, den Vater um die Zustimmung zu ihrer beider Hochzeit zu bitten. Doch sie gibt ihm zu verstehen, dass das Schicksal des Fliegenden Holländers sie mehr rühre als seine Bedürfnisse. Zur Warnung erzählt Erik ihr seinen Traum von der Begegnung Sentas mit dem fremden, unheimlichen Seemann. Senta nimmt ihn als das Zeichen, dass ihr geheimer Wunsch in Erfüllung gehen wird.
Daland und der Holländer treten ein. Der Vater stellt seiner Tochter den fremden Mann vor, dessen Frau sie werden soll. Er zeigt ihr die Schätze des Holländers, um sie zu überzeugen, dass sie eine gute Partie machen wird. Dann lässt er die beiden allein.
Senta und der Holländer sind auf der Stelle voneinander fasziniert. Sie erkennen, dass sie im anderen das Ziel ihrer tiefsten Sehnsüchte gefunden haben. Zwar warnt der Holländer Senta, das Opfer, das sie ihm zu bringen bereit ist, nicht zu unterschätzen, aber sie hält daran fest, seine Frau sein zu wollen, und schwört ihm Treue bis in den Tod.
Daland kommt zurück und bittet beide zu dem Fest mit den Seeleuten. Dort will er die Verlobung Sentas mit dem Holländer verkünden.
Dritter Aufzug
Die Norweger provozieren die düstere Mannschaft des Holländers, weil diese sich von der Feststimmung nicht anstecken lassen. Schließlich setzen sich die Holländer zur Wehr. Wer sich retten kann, flieht vor der Gewalt der Fremden.
Erik stellt Senta zur Rede, doch sie geht auf seine Vorwürfe nicht ein. Er erinnert sie daran, wie sie ihm einst ihre Liebe gestand, was er als Versicherung ihrer Treue aufgefasst hat.