Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
Kammermusik aus Norwegen erwartet Sie in der heutigen Ausgabe: Edvard Griegs Violinsonate Nr. 3 c-Moll op. 45.
Unter den Komponisten, die im Zeichen des im 19. Jahrhundert immer stärker um sich greifenden Nationalismus die Stimmen ihrer Völker in das bis dahin von französischen, italienischen, deutschen und österreichischen Werken dominierte Konzert der abendländischen Kunstmusik mischten, vertritt Edvard Grieg am prominentesten die skandinavische Halbinsel. Von seinem umfangreichen Schaffen hat nur weniges, darunter vor allem die erste der beiden Suiten aus der Schauspielmusik zu Henrik Ibsens "Peer Gynt" und das Klavierkonzert, bis heute ungebrochenes Ansehen bewahrt. Das meiste, etwa die 144 Lieder und die sechs Bände "Lyrische Stücke" für Klavier, galt lange Zeit als Kitsch, weswegen diese Kompositionen aus den Konzertprogrammen - vielfach zu Unrecht - weitgehend verschwunden sind.
Geboren als Sohn eines Kaufmanns aus Bergen, kam Grieg über Anregung des berühmten norwegischen Geigers Ole Bull mit 15 Jahren ans Leipziger Konservatorium, wo neben anderen Ignaz Moscheles und Carl Reinecke seine Lehrer waren. In Kopenhagen, bei Niles Wilhelm Gade, setzte er seine Studien fort; entscheidend für seine Abkehr vom klassizistischen Akademismus und seine Hinwendung zur nordischen Folklore war die Begegnung mit dem jung verstorbenen Rikard Nordraak, dem Komponisten der norwegischen Nationalhymne. 1871 gründete er in Kristiania, dem heutigen Oslo, einen Musikverein, dessen Dirigent er bis 1880 war. Daneben unternahm er als Pianist und Dirigent zahlreiche Reisen. Freundschaften verbanden ihn mit Komponisten wie Franz Liszt, Johannes Brahms und Peter Tschaikowsky. Ab 1885 lebte er, gefördert durch ein Staatsstipendium, in seinem Landhaus Troldhaugen bei Bergen.
Griegs enger Bezug zur norwegischen Volksmusik äußert sich besonders im Volkstanz, dessen ständig wiederholten, oftmals variierten Kurzfloskeln wir in Griegs Musik häufig begegnen. Außerdem ist diese durch eine phantasievolle, sehr eigenständige und oft fortschrittliche Harmonik und Melodik geprägt. Viel davon ist auch in der Violinsonate Nr. 3 c-Moll op. 45 zu finden. Es ist das letzte von Griegs abgeschlossenen Kammermusikwerken und entstand in seinem Haus Troldhaugen außerhalb von Bergen in der zweiten Hälfte des Jahres 1886. Grieg setzte die letzten Noten in den ersten Tagen des neuen Jahres aufs Papier, gewidmet ist das Werk dem Münchner Maler Franz von Lenbach gewidmet, der Griegs Gattin Nina Hagerup porträtiert hatte.
Die Sonate ist im Grunde rein lyrischer Natur. Ihr Reichtum an melodischen Einfällen ist so groß, dass diese kaum komplizierten Verarbeitungstechniken unterworfen zu werden brauchen. Anders als etwa Brahms geht Grieg also nicht ökonomisch, sondern durchaus verschwenderisch mit seinen Einfällen um. Nicht zuletzt aufgrund dieser Missachtung der bürgerlichen Tugend der Sparsamkeit geriet seine Musik auch schnell unter Kitschverdacht. Das Hauptthema des ersten Satzes ist in seiner bohrenden Wildheit das einzige, das nicht folkloristisch beeinflusst ist. Alle anderen Themen des Werkes können den Kategorien Lied und Tanz zugeordnet werden, wobei im zweiten Satz der Tanz von lyrischen Abschnitten umschlossen wird. Eine virtuose Stretta führt das Finale zu einem wirkungsvollen Abschluss in C-Dur.
In der Uraufführung im Leipziger Gewandhaus am 10. Dezember 1887 spielte Grieg das Klavier. Der Violinist war der berühmte Adolph Brodsky, der sechs Jahre zuvor auch der Solist in der Premiere von Tschaikowskys Violinkonzert gewesen war (und der später Direktor der Royal Manchester School of Music wurde). Die dritte Violinsonate erfreute sich sofort großen Zuspruchs, sowohl unter den Amateuren als auch den Berufsmusikern. Nur wenige Monate nach dem Erscheinen im Druck waren 1.500 Exemplare verkauft. Bis heute ist sie weltweit ein beliebtes Konzertstück bei den großen Violinvirtuosen.
Unsere heutigen Interpreten sind Christian Tetzlaff und Leif Ove Andsnes:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler