Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
mit Musik aus Frankreich startet hier die neue Kalenderwoche: Francis Poulencs Sonate für Violoncello und Klavier.
Der Pariser Komponist Francis Poulenc war schon 41 Jahre alt, als er im Schicksalsjahr 1940 zum Militär eingezogen wurde. An Kampfhandlungen gegen die im „Blitzkrieg“ vorrückende Wehrmacht war er nicht beteiligt. Der Waffenstillstand vom 22. Juni überraschte ihn in Bordeaux. Nach der Demobilisierung blieb er im Südwesten Frankreichs und verbrachte den Sommer bei einer Freundin in Brive-la-Gaillarde in der Region Nouvelle-Aquitaine. Dort skizzierte er im Sommer 1940 seine einzige Cellosonate, die nicht zufällig im ersten Satz einen Marsch enthält. Bis Kriegsende blieb das Werk unvollendet, 1948 aber bat der Cellist Pierre Fournier den Komponisten, die Sonate für ihn fertigzustellen. Der Widmungsträger spielte denn auch am 18. Mai 1948 in Paris die Uraufführung, zusammen mit der Pianistin Marthe Bosredon. Vor der Drucklegung 1953 hat Poulenc die Cellosonate noch einmal gründlich revidiert.
Die Form entspricht vage der viersätzigen Anlage einer „Grande Sonate“ der Romantik: Zwei schnelle Ecksätze umrahmen ein romantisches Adagio (Cavatine in Fis-Dur!) und ein Scherzo (Ballabile). Freilich hat schon das erste Allegro wenig mit den gewichtigen Kopfsätzen bei Beethoven oder Brahms zu tun. Ein kurzes, signalhaftes Motiv, eine Art Kuckucksruf, dient als Hauptthema, ein stilisierter Operettengesang des Cellos als Seitenthema. Das „Tempo di Marcia“ des Titels ist pure Ironie. Dass sich das Instrument hier wie ein Buffo-Bariton gebärdet, lag ganz auf Poulencs Linie einer ironischen Brechung der romantischen Tradition des Instruments. In der Cavatina ist die Oper das Vorbild: Schöner Gesang beherrscht diesen Satz, der in seinen weit gespannten Melodiebögen dem berühmten langsamen Satz aus Poulencs Flötensonate kaum nachsteht.
Der Titel des dritten Satzes, Ballabile („tanzbar“), stammt aus einigen Ballettmusiken von Giuseppe Verdi und verweist auf die federleichten Schritte der Ballett-Tänzer, die Poulenc hier ein wenig ironisch vortanzen lässt. Im Finale zitierte er die Atmosphäre und den Rhythmus eines Walzers - eher wie ein Tanz einfacher Leute zu Akkordeon-Begleitung in einem Bistro als eine rauschende Ballnacht der feinen Gesellschaft.
Von den Sonaten seines Freundes Poulenc meinte der Komponist Darius Milhaud bewundernd: „Wird nach all den impressionistischen Nebeln nicht diese simple und klare Kunst, die so sehr an Scarlatti und Mozart erinnert, die nächste Phase unserer Musik sein?“ Beide Komponisten gehörten seit dem Jahr 1919 zu einer berühmten Komponisten-Clique, der Groupe des Six. Sie wagte den Ausbruch aus den spätromantischen und impressionistischen Klischees der Musik vor dem Ersten Weltkrieg und propagierte den Aufbruch zu einer Musik des Alltags, der kleinen Formen und prosaischen Gesten. Dem Theater waren die vier Franzosen Darius Milhaud, Francis Poulenc, Georges Auric und Louis Durey, die Französin Germaine Tailleferre und der Schweizer Arthur Honegger auf vielfältige Weise verbunden - bis hin zur Komposition einer Gemeinschaftsoper, die dem Eiffelturm huldigte. Als die Gruppe sich Mitte der Zwanziger Jahre auflöste, ging jeder seine eigenen Wege und verabschiedete sich vom experimentellen Stil der Six, der stark durch Jean Cocteau und Erik Satie inspiriert war.
Zwei Mitschnitte stelle ich Ihnen heute wieder zur Auswahl, zunächst Edgar Moreau und Julien Quentin, die das Werk am 24. Juli 2015 beim Verbier Muskfestival musizierten:
Zum Vergleich Bruno Philippe und Tanguy de Williencourt mit ihrem Beitrag im Halbfinale des Queen Elizabeth Wettbewerbs am 16. Mai 2017:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler