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13.08.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 813

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

heute erwartet Sie eines der populärsten Streichquartette: Das Streichquartett Nr. 12 F-Dur op. 96 von Antonin Dvořák, das schnell den Beinamen "Amerikanisches Quartett" erhielt.

Nach zwölfjähriger Pause wandte sich Dvorák im Sommer 1893 wieder der Gattung des Streichquartetts zu. Seit Herbst 1892 war er als Musikdirektor in New York tätig und verbrachte den Sommer in Spillville (Iowa), wo sich eine Gruppe tschechischer Auswanderer angesiedelt hatte und ihm das Gefühl von Heimat vermittelte. Die starken Natureindrücke führten zu diesem unkonventionellen Streichquartett in der Nachfolge von Beethovens „Pastorale“ - bis hin zur Nachahmung von Vogelrufen. Bestimmte rhythmische und melodische Eigentümlichkeiten wurden seit den ersten Aufführungen auf Einflüsse der Volksmusik von Indianern und Afroamerikanern zurückgeführt und brachten dem schnell populär gewordenen Werk den Beinamen „Amerikanisches Quartett“ ein, das mit knapp 25 Minuten Dauer sein kürzestes ist.

Die Skizze entstand in nur drei Tagen vom 8. bis 10. Juni, die Ausarbeitung dann in zwei Wochen vom 12. bis 25. Juni. Das populäre Werk braucht keine Erklärungen, denn der Wohlklang der schönen und eingänglichen Melodien wie auch die Rhythmen sprechen unmittelbar an. 

"Die Seele des Komponisten brauchte Ruhe. Sie brauchte einen einfachen und schlichten Ort, kein Ausflugszentrum, kein Berghotel. Er brauchte, wie in der Heimat, ein wenig Dorfplatz, ein wenig Ernte, ein bisschen Plauderei übers Wetter. Das fehlte in New York, das bot Spillville." Das schreibt Dvořák-Biograph Miroslav Ivanov über den kleinen Ort 350 Kilometer westlich von Chicago. Hier verbringt Antonín Dvořák die Sommermonate des Jahres 1893, hier kann er sich erholen von der hektischen Großstadt New York, wo er seit einem Jahr Direktor des Konservatoriums ist.

In nur zwei Wochen komponiert er - inspiriert von der Landschaft am Turkey River - sein Streichquartett op. 96. Ein Werk, das auch die Einflüsse widerspiegelt, die auf den Europäer Dvořák aus der neuen Welt des Jazz einwirken. An manchen Stellen, wie etwa in der Durchführung des Kopfsatzes von op. 96, notiert Dvořák eine Rhythmik, die die klassische Streichquartettbesetzung vollends in eine groovende Jazzband zu verwandeln scheint. Neben Vertrautem entdeckt Dvořák in Spillville auch Neues. Er lauscht den Trillern von Vögeln mit sonderbar bunten Federn, die am Turkey River umherschwirren; und schreibt sie für den dritten Satz, das Scherzo, auf.

Dem Thema aus dem zweiten Satz von Dvořáks op. 96 wird gerne angedichtet, dass es eine Indianermelodie sei. Dazu hat sich Dvořák selbst in einem Gespräch geäußert: "Tatsächlich benutze ich keine der indianischen Melodien. Ich habe originäre Themen geschrieben, in denen die Besonderheiten der indianischen Musik enthalten sind, und, diese Themen als Anregung benutzend, entwickelte ich danach mein Werk, mit allen Mitteln der Harmonie, des Kontrapunktes, der Orchestrierung und des modernen Rhythmus."

Dvořáks jüngster Sohn Otakar, der nach dem Tod des Vaters das Museum des Dvořák-Hauses in Vysoka leitete, erinnerte sich als 72-Jähriger 1957 in einem Gespräch mit Radio Prag an die amerikanischen Jahre. "Dieses Quartett hat mein Vater in viereinhalb Tagen niedergeschrieben", sagt Otakar. "Das ist eine Wahnsinns-Leistung für einen Komponisten. Und auch Antonin Dvořák ist das nur einmal gelungen. Am Ende hat er unter die Noten geschrieben: 'Ich bin überaus glücklich, es ging sehr schnell'. Ich glaube, er hat sich selber darüber gewundert, dass er so schnell fertig war."

Die Tinte von Dvořáks Musik made in Spillville war kaum trocken, da wurde er auch schon in seiner sommerlichen Idylle aufgeschreckt. Die Chicagoer Tschechen wollten ihren berühmten Landsmann auf der Weltausstellung präsentieren, mit einem grandiosen Konzert am 12. August 1893, dem Tag der Tschechen. Das Konzert in der Festival Hall von Chicago wurde zum unvergesslichen Ereignis, das in stürmischen Ovationen an den Meister endete. Rückblickend auf die Schaffenszeit in Spillville resümierte Dvořák selbst: "Diese Werke kann ich ruhig zu meinen besten, originellsten zählen. Auch die gesamte Kritik urteilte so und eine Zeitung, der New York Herald, schrieb sogar: Warum kam dieser Dvořák nicht schon früher in unser Land, wenn er hier in Amerika eine solche Musik schreiben kann?"

Unser heutiger Konzertmitschnitt kommt aus den USA. Im Rahmen der Parlance Chamber Concerts in der West Side Presbyterian Church in Ridgewood, New Jersey, musizierte am 20. November 2016 das New York Philharmonic String Quartet:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd