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09.11.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 551

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

eines der schwierigsten Chorstücke der a-cappella-Literatur erwartet Sie in der heutigen Ausgabe: Arnold Schönbergs Friede auf Erden op. 13. Das Stück gilt als letzte tonale Komposition von Arnold Schönberg und ist eines der wenigen Chorwerke der Zweiten Wiener Schule. Textgrundlage ist ein weltliches Weihnachtsgedicht von Conrad Ferdinand Meyer, das dieser im Oktober 1886 verfasst hatte.

"Friede auf Erden", Schönbergs meist aufgeführtes Chorwerk, steht noch ganz im Bann der Spätromantik. Sein ungewöhnlich dichter, auf Transparenz verzichtender Satz versucht, das Pathos von Conrad Ferdinand Meyers Textvorlage atmosphärisch einzufangen, an manchen Stellen sogar zu überbieten. Aus dem Monumentalen der Gesamtanlage und der extremen Spannweite der Intervallstruktur resultieren notgedrungen Intonationsprobleme und Probleme der exakten Stimmführung, weshalb Schönberg ad libitum eine Instrumentalbegleitung anbietet, die dem Chor das freie Intonieren erleichtern soll. Bemerkenswert ist die zeitliche Nachbarschaft von "Friede auf Erden" und zwei anderen, wesentlich avancierteren Werken Schönbergs, dem 2. Streichquartett fis-Moll und den 15 Klavierliedern nach Stefan Georges "Buch der hängenden Gärten". Was in "Friede auf Erden" noch nicht erkennbar ist: Mit dem Quartett und den Liedern beginnt Schönbergs unbeirrbarer Weg in Richtung Atonalität.    

Zum Zeitpunkt der Komposition von "Friede auf Erden" (1907) hielt Schönberg die darin beschriebene Vision einer „reinen Harmonie unter Menschen“ für denkbar, später distanzierte er sich von dieser Idee. Geblieben ist eine Komposition von großer künstlerischer Kraft und Tiefe - ein Paradestück für leistungsstarke Chöre!

Conrad Ferdinand Meyer - Friede auf Erden

Da die Hirten ihre Herde
ließen und des Engels Worte
trugen durch die enge Pforte
zu der Mutter und dem Kind
fuhr das himmlische Gesind
fort, im Sternenraum zu singen,
fuhr der Himmel fort zu klingen:
„Friede, Friede! auf der Erde!“

Seit die Engel so geraten,
o wie viele blutge Taten
hat der Streit auf wildem Pferde,
der geharnischte, vollbracht!
In wie mancher heilgen Nacht
sang der Chor der Geister zagend
dringlich flehend, leis verklagend:
„Friede, Friede! auf der Erde!“

Doch es ist ein ewger Glaube,
dass der Schwache nicht zum Raube
jeder frechen Mordgebärde
werde fallen allezeit:
Etwas wie Gerechtigkeit
webt und wirkt in Mord und Grauen,
und ein Reich will sich erbauen,
das den Frieden sucht der Erde.

Mählich wird es sich gestalten,
seines heilgen Amtes walten,
Waffen schmieden ohne Fährde,
Flammenschwerter für das Recht,
und ein königlich Geschlecht
wird erblühn mit starken Söhnen,
dessen helle Tuben dröhnen:
"Friede, Friede! auf der Erde!"

Anlässlich des Weltfriedenstages 2019 hat der WDR Rundfunkchor Schönbergs "Friede auf Erden" unter der Leitung von Nicolas Fink aufgenommen und in einem Film verarbeitet, der Schönbergs Glaube an Gerechtigkeit und die Hoffnung auf Frieden in unruhigen Zeiten illustrieren soll:

www.youtube.com/watch

Ab kommenden Dienstag erwartet Sie in den kommenden vier Wochen wieder die Musikfilm-Reihe "FaszinationKlassik@Home" in Ihrem Posteingang, Folge 552 dieser Reihe erscheint dann am Donnerstag.

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler
 

Beitrag von sd