Im Sommer des Vorjahres hatte Britten den bemerkenswerten Hornisten Dennis Brain kennengelernt, der damals im Orchester der Royal Air Force spielte, für die Britten in der Kriegszeit verschiedene Musiken zu Rundfunkdokumentationen schrieb. Schon bald bat Brain den Komponisten um ein eigenes Werk, und so entstand die Idee zur Serenade. Die Uraufführung fand am 15. Oktober 1943 unter der Leitung von Walter Goehr in der Londoner Wigmore Hall mit Dennis Brain und Peter Pears als Solisten statt. Der Zyklus ist Edward Sackville-West gewidmet, einem befreundeten Schriftsteller, der Britten bei der Auswahl der Texte geholfen hatte.
Die Serenade beginnt mit einem Prologue, den der Hornist auf den Naturtönen seines Instruments spielt, womit einige Töne absichtlich verstimmt klingen. So entsteht eine Atmosphäre natürlicher, ursprünglicher Unschuld. Diese Stimmung setzt sich in der zwielichten Landschaft der Pastoral von Charles Cotton mit ihren sanft absteigenden Arpeggien in Singstimme und Horn fort - und auch in der energischeren Vertonung des Nocturne von Alfred Lord Tennyson mit seinen kadenzartigen Fanfaren und ihren äußerst markanten Terzenketten. Durch die recht einfache Art dieser beiden ersten Gesänge entsteht ein deutlicher, wirkungsvoller Kontrast zu der anschließenden Elegy von William Blake: Hier hat Britten das Gefühl der Sünde im Herzen des Menschen auf eine besonders offene und klare Weise ausgesprochen. Die treibenden Synkopen der Streicher und die schwerfälligen Kontrabassarpeggien sind von einfacher Diatonik, die aber von den fallenden Halbtönen der chromatisch umherschweifenden Hornstimme gestört wird, wodurch immer wieder ein Absinken von Dur nach Moll entsteht. Die gestopften Glissandi in den Schlusstakten des Satzes intensivieren diese Wirkung.
Der anschließende Dirge (Grabgesang) bewahrt diesen düsteren Ton: Hartnäckig wiederholt der Tenor dabei seine Linie, die völlig ignoriert, dass sich in den Streichern eine Fuge entwickelt, die nach einem pianissimo-Anfang allmählich einen kraftvollen Höhepunkt erreicht, den das Horn mit seinem dramatischen Einsatz des Fugenthemas markiert. Danach verschwindet die Musik wieder in der Welt der Schatten. Die Spannung löst sich in dem nachfolgenden leichtfüßigen Satz Hymn von Ben Jonson, in dem die Streicher durchweg pizzicato zu spielen haben. Im letzten Lied, dem Sonnet von John Keats, schweigt das Horn. Dieses außergewöhnlich schöne Adagio bezieht seinen äußerst markanten Klang aus dem Nebeneinander nicht verwandter Dreiklänge – ein frühes Beispiel dafür, wie genial Britten die grundlegendsten musikalischen Elemente zu neuartigen Wirkungen nutzte. Das Horn beschließt den Zyklus mit dem Epilogue, einer exakten Wiederholung des Prologs, mit dem das Werk begann. Jetzt aber spielt er hinter der Bühne. Die Unschuld des Anfangs ist längst dahin.
2016 spielte das Orchestre de Paris unter der Leitung von Daniel Harding Brittens Serenade im Rahmen einer Japan-Tournee, die Solisten im folgenden Mitschnitt sind Mark Padmore (Tenor) und Benoit de Barsony (Horn):
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler