Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
nicht allzu bekannte Musik erwartet Sie heute von Maurice Ravel: Don Quichotte à Dulcinée.
Es sind Ravels letzte drei Lieder, sie entstanden in den Jahren 1932/33 auf Texte von Paul Morand. Eigentlich hätte sie der große russische Sänger Fjodor Schaljapin in einem Film über Cervantes singen sollen, doch dafür wurden sie nie benutzt. Mit seinem letzten Werk wandte sich Ravel noch einmal der iberischen Musik zu. Jedes der drei Stücke beruht auf einem spanischen oder baskischen Tanzrhythmus. Den erlesenen Versprechungen des Chanson romanesque folgt mit Chanson épique ein Gebet an den Heiligen Michael, und den Beschluss bildet eine eher stürmische Chanson à boire (Trinklied).
Zwei französische Komponisten reagierten positiv, als der renommierte österreichische Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst sie 1932 einlud, Lieder zu einem Film über die Romanfigur Don Quichotte zu komponieren. Zur Zusage animiert wurden sie nicht zuletzt von der Aussicht, diese Lieder für den legendären russischen Bass Fjodor Schaljapin zu schreiben. In der Tat spielte Schaljapin, der seit 1921 nicht mehr in Sowjetrussland lebte und arbeitete, die Titelrolle in dem 1932 in Frankreich gedrehten Film, in der Wahlheimat des Regisseurs. Fjodor Schaljapin hatte sich für die Rolle nicht zuletzt dadurch empfohlen, dass er 1910 die Titelrolle in der Uraufführung von Jules Massenets Oper „Don Quichotte“ mit großem Erfolg gesungen und gespielt hatte. Pabst drehte seinen Don-Quichotte-Film 1932 - vor der Erfindung der Synchronisation - parallel in drei Sprachen: in Französisch, Englisch und Deutsch. Die jeweiligen Uraufführungen fanden 1933 in Brüssel und London, 1934 in Wien statt. Die deutsche Fassung gilt heute als verschollen. In Deutschland nachweislich zum ersten Mal zu sehen war der Film 1968 im ARD-Fernsehen.
Dass am Ende nicht die Lieder in dem Film vorkamen, die Maurice Ravel komponiert hatte, lag an der verspäteten Abgabe der Partitur durch den Komponisten. Dies wiederum hatte seine Ursache in der zerebral-neurologischen Erkrankung Morbus Pick, die Ravel zunehmend seiner motorischen Fähigkeiten und seines Gedächtnisses beraubte und ihn überdies mit Phasen von Aphasie (Sprachverlust) belastete. Möglicherweise wusste Pabst nichts von der Erkrankung Ravels, er baute am Ende die pünktlich eingetroffenen Lieder des Komponisten Jacques Ibert in den Film ein.
Als der Streifen 1934 mit Iberts Musik in die Kinos kam, verklagte Ravel die Produzenten, ohne ein Gerichtsverfahren damit auszulösen. Ravel vollendete drei der vier geforderten Lieder, wobei er zumindest bei der Notation der Orchestrierung von Lucien Garban und Manuel Rosenthal unterstützt wurde. Noch zu Lebzeiten Ravels, im Dezember 1934, fand die erste öffentliche Aufführung der drei Lieder mit dem Bariton Martial Singher und einem kleinen Orchester unter der Leitung von Paul Paray im Pariser Théâtre du Châtelet statt.
Im eröffnenden „Romantischen Lied“ kokettiert Ravel mit Rhythmuswechseln von 6/8- und 3/4-Takt. Hintergrund des exotisch anmutenden Liedes ist das Tanzmuster der Quajira, eines einst von Andalusien über die Kanarischen Inseln nach Kuba exportierten Liedtypus, der im 19. Jahrhundert als Guajira zurück nach Europa gekommen und dort im Flamenco aufgegangen ist. An Kulminationspunkten tauchen zarte Dissonanzen auf. Der gehauchte Anruf „O Dulcinée“ am Schluss ist Sinnlichkeit pur. Das zweite Lied wendet sich gleichsam nach innen zum Gebet. Archaische Harmonien beschwören die Atmosphäre einer mittelalterlichen christlichen Liturgie herauf, huldigen der Madonna im blauen Mantel. So verleiht das „Epische Lied“ dem asymmetrischen baskischen Tanzrhythmus des Zortzico eine ungewöhnliche Intensität, indem es ihn in langsamem Tempo zelebriert. Im dritten Chanson, einem „Trinklied“, zieht der Rhythmus einer schier manischen Jota dem beschwipsten Don Quijote den Boden unter den Füßen weg. Mit kichernden Kapriolen ergeht er sich als berauschter Flamenco-Sänger, während das Orchester mit übermütigen Schnörkeln und Ornamenten den Wein im Glase perlen lässt.
Hier zunächst die Fassung mit Klavier mit Vittorio Prato und Alessandro Pratico, der Mitschnitt entstand am 15. Juni 2019 im Rahmen des Concert Générations France Musique:
Zum Vergleich noch ein Klassiker aus den Archiven: Gérard Souzay mit dem Orchestre de Radio-Canada unter der Leitung von Jean Beaudet aus dem Jahr 1966:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler