Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
unser heutiges Musikstück ist die Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 2 F-Dur op. 99 von Johannes Brahms.
Wenn sich der junge Brahms mit der ersten Cellosonate als gelehrt und gereift darstellen wollte, so ist die zweite Sonate das Werk eines älteren Mannes, der seine Musik mit aller Leidenschaft und allem Schwung der Jugend komponiert. Die F-Dur-Sonate entstand - ebenso wie die zweite Violinsonate und das dritte Klaviertrio - im Laufe des produktiven Schweizer Sommers von 1886 und war für Robert Hausmann vorgesehen, der für den großen und maskulinen Ton seines Spiels bekannt war.
Der erste Satz ist ausgesprochen kühn angelegt - die beiden Instrumente werden in einem wilden, stürmischen Meer der Tremolandi aufeinander angesetzt. Der langsame Satz in der nahe gelegenen, aber nicht verwandten Tonart Fis-Dur könnte womöglich aus einem verworfenen Satz abgeleitet sein, der ursprünglich für die e-Moll-Sonate gedacht war; der bewusste Satz ist nicht erhalten, aber es gibt einige Hinweise, die eine Verbindung zumindest vermuten lassen: Die Ähnlichkeit des dritten Themas dieses langsamen Satzes mit jenem aus dem Kopfsatz des Werks in e-Moll und die Bedeutung der kleinen Sexte in diesem Mittelabschnitt und der Coda fallen besonders auf - vielleicht zu sehr, um rein zufällig sein zu können. Der üppige Stil ist jedoch eindeutig dem späten Brahms eigen; falls dieser Satz seinen Ursprung wirklich in einem früheren Werk hatte, muss der Komponist umfangreiche Revisionen durchgeführt haben, ehe er ihn übernahm. Das Scherzo ist wundervoll kräftig und dunkel; eine Freundin schrieb Brahms ein wenig respektlos, sie könne ihn darin dauernd brummen und schnauben hören. Der Schlusssatz ist wie der des zweiten Klavierkonzerts fast verblüffend in der Leichtigkeit seiner Stimmführung, die man in diesem massiven Rahmen so nicht erwartet.
Nicht alle waren von der Uraufführung, die im November 1886 in Wien von Hausmann und dem Komponisten gegeben wurde, ganz überzeugt. „Ja, was ist denn heutzutage Musik, was Harmonie, was Melodie, was Rhythmus, was Inhalt, was Form“, schrieb Hugo Wolf im Wiener Salonblatt, „wenn dieses Tohuwabohu in allem Ernste Musik sein will? Will aber Herr Dr. Johannes Brahms seine Anbeter mit diesem neuesten Werke mystificieren, will er sich über ihre hirnlose Veneration lustig machen, dann freilich ist es etwas anderes und wir bewundern in Herrn Brahms den größten Foppmeister dieses Jahrhunderts und aller künftigen Jahrtausende.“
Nicht nur Hugo Wolf, auch Cellisten beschwerten sich, weil sie damit Schwierigkeiten hatten, sich über den Tremolandi des Klaviers im ersten Satz Gehör zu verschaffen; man erzählt die Geschichte einer nicht gerade kompetenten Cellistin, die das Werk mit Brahms durchspielte und sich beklagte, dass sie sich selbst nicht hören könne. „Oh, Sie Glückliche!“ soll Brahms darauf bissig erwidert haben. Heutzutage wird die F-Dur-Sonate jedoch völlig zu Recht als herausragendes Werk der Kammermusik des späten 19. Jahrhunderts angesehen.
Noch eine Fußnote: Eine offizielle Nationalhymne gab es 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland nicht mehr. Als sich 1949 zum ersten Mal der deutsche Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung traf, wurde ein "Provisorium" gesungen, das aus Brahms' Cellosonate stammt. Denn genau jenes patriotische Studentenlied von Hans Ferdinand Maßmann aus dem Jahre 1820, das Johannes Brahms in seiner F-Dur-Sonate zitierte, erklang hier nach dem Krieg aus Ermangelung einer gültigen Nationalhymne. Das Lied mit dem Titel "Ich habe mich ergeben / Mit Herz und Hand" ist nämlich keineswegs ein Liebeslied, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Mit dem zweiten Vers "Dir Land voll Lieb' und Leben / Mein deutsches Vaterland!" entpuppt es sich als Volkslied, das in seiner Melodie auch verwandt ist mit dem Leitmotiv, das Brahms für seine "Akademische Festouvertüre" komponierte. Als Teil der Cellosonate hat das Lied ebenso kryptische wie musikalische Hintergründe - wie so oft bei Brahms.
Unsere heutigen Interpreten sind Jacqueline du Pré und Daniel Barenboim, hier in einem Mitschnitt aus dem Jahr 1968:
Zum Vergleich noch ein Konzertmitschnitt aus dem Lensic Performing Arts Center im Rahmen des Santa Fe Chamber Music Festival vom 22. August 2010, es musizieren Lynn Harrell und und Yuja Wang:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler