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09.01.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 423

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

Musik aus Russland eröffnet die neue Woche: Peter Tschaikowksys Orchesterfantasie Francesca da Rimini op. 32.

Das Werk entstand im Oktober und November 1876 und basiert auf einem Textausschnitt aus dem 5. Gesang des ersten Buches (Inferno) aus Dantes "Die Göttliche Komödie" (La Divina Commedia). Die Uraufführung der Fantasie, die Tschaikowsky Sergej Tanejew widmete, fand am 25. Februar 1877 in Moskau im 10. Sinfoniekonzert der Russischen Musikgesellschaft unter der Leitung von Nikolaj Rubinstein statt.

Poesie - das war es, was Peter Tschaikowsky bei einem Besuch der ersten zyklischen Aufführung von Wagners "Der Ring des Nibelungen" 1876 in Bayreuth vermisste; seine eigene Vorstellung poetischer Musik realisierte er im gleichen Jahr mit der Fantasie Francesca da Rimini. Ein Werk, das von lyrischen Passagen mit betörendem Farbenreichtum bis hin zu dramatisch-theatralischen Ausbrüchen ein prächtiges und mitreißendes Tableau entfaltet. In der vertonten Episode aus der "Göttlichen Komödie" begegnet Dante Francesca, die zur Strafe für ihre Untreue gegenüber dem verkrüppelten Gemahl ständig von Windstößen gepeitscht wird. Die tragische Handlung der Vorlage spiegelt aber auch die emotionale Zerrissenheit des Komponisten in einer Zeit, in der er in die größte innere Krise seines Lebens hineingeriet. 

Mit diesem Werk erreichte Tschaikowsky noch vor der Niederschrift der vierten Sinfonie seinen Reifestil; die angeblichen Einflüsse von Wagners "Ring" treten angesichts einer ganz individuellen Prägung dieser Musik in den Hintergrund. Die Partitur der Francesca weist mit ihrem rhythmischen Raffinement, ihren oft erschreckend fahlen Klangfarben und ihrer schonungslosen subjektiven Offenheit des Ausdrucks weit in die Zukunft und hat noch den jungen Arnold Schönberg merklich beeinflusst. Anders als die bisher geschriebenen programmatischen Werke, war diese musikalische Umsetzung einer Episode aus Dantes "Göttlicher Komödie" der eigene Entschluss Tschaikowskys. Er war mit seinem Werk zufrieden. "Ich habe gerade meine neue Komposition beendet, eine Fantasie über Francesca da Rimini. Ich schrieb sie mit Liebe, und die Liebe ist dabei sehr hübsch herausgekommen." Er dirigierte nicht oft; sechs Mal aber setzte er diese Fantasie auf das Programm, öfter als jedes andere Werk.

Im September 1993 spielte das Deutsche Symphonieorchester Berlin unter der Leitung von Vladimir Ashkenazy in der Philharmonie eine Tschaikowsky-Gala, in der Francesca da Rimini den umjubelten Abschluss bildete. Ein kleines optisches Rätsel für Sie zum Abschluss der heutigen Ausgabe: Ich habe mir diesen Mitschnitt vor vielen Jahren sehr oft angesehen - bis heute habe ich nicht herausgefunden, was beim Schlussakkord (zu sehen bei 23:00) vom Dirigentenpult ins Orchester fliegt...

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich: Das Philharmonia Orchestra unter der Leitung von Santtu-Matias Rouvali in einem Mitschnitt vom 10. März 2022 aus Royal Festival Hall in London:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd